"Machthungrige Akteure"
Der Blick zurück eines kritischen Geistes:
Dagmar B. Nonn-Adams im Interview
Seligenstadt - Ihre Amtszeit als Bürgermeisterin Seligenstadts ist vorbei. Der Blick auf die Stadt und ihre Menschen ist nach wie vor von Sympathie geprägt, der auf Politik und Politiker bleibt der eines kritischen Geistes.
Seit wenigen Wochen sind Sie eine Privatperson. Spüren Sie schon eine herannahende „Leichtigkeit des Seins“, so ganz ohne Terminplan und Verpflichtungen? Gibt es einen Plan B, falls das „unerträglich“ werden sollte?
Die „Leichtigkeit des Seins“ ist ein verlockendes Ziel und in meinen Augen ganz bestimmt nicht „unerträglich“. Aber wann ist man schon ohne Verpflichtungen? Trotzdem: ein ganz anderer Terminplan, weniger Fremdbestimmtheit, mehr Zeit für Privates. Das ist durchaus mehr Freiheit und Freiraum für neue Perspektiven, neue Ziele, neue Ideen.
Als Quereinsteigerin haben sie im Bürgermeisterrang erfahren und erlebt, wie kommunale Politik funktioniert. Enttäuscht?
Ich bin nicht enttäuscht, aber es ist schon oft enttäuschend, wie sich kommunale Politik darstellt. Bei von Parteien gebildeten Machtstrukturen und zu vielen machthungrigen Akteuren bleibt zu oft das Wohl der Bürgerschaft in ihrer Gesamtheit auf der Strecke. Ich bleibe dabei: In der Kommunalpolitik geht es meist um Fragestellungen und Verwaltungsakte, die nur sehr bedingt etwas mit Parteiprogrammen zu tun haben. Der gesunde Menschenverstand und Stadtverordnete, die ihrer Stadt und ihren Bürgern verpflichtet sind und diese Verpflichtung leben, sind bessere Ratgeber als Parteipolitik.
Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie als Vertreterin der Mitte, des Bürgertums, mit genau der Partei in Dauerfehde gerieten, die all diese Werte verkörpert, der CDU?
Sind Sie sicher, dass die CDU ein Monopol auf die Verkörperung bürgerlicher Werte hat? Für Seligenstadt gilt aus meiner Sicht: Wir müssen unterscheiden zwischen „der Partei“ und einigen wenigen „Parteipolitikern“. In den letzten Jahrzehnten glaubten einige wenige, die es in Schlüsselpositionen ihrer Partei schafften, sie seien die Partei. Ein grober Denkfehler. Sie haben die Partei für ihre Eigendarstellung und ihre Fehden, mit denen sie Macht entfalten wollten, missbraucht. Zweimal wurde ich deshalb auch mit vielen Stimmen traditioneller CDU-Wähler zur Bürgermeisterin gewählt, weil sie in mir die Repräsentantin ihrer Werte sahen.
In Ihrer Amtszeit ist die Zahl der (meist von Ihnen veranlassten) Rechts- und Fachgutachen sprunghaft angestiegen. Weil Sie ebenso misstrauisch wie renitent und rechthaberisch sind oder weil sich parteipolitisch motivierte Beschlüsse häuften, die weder rechtens, noch im Sinne der Stadt und Ihrer Bürger sind?
Mehrheitsentscheidungen geben zwar Machtverhältnisse wieder, müssen aber deshalb noch lange nicht richtig und rechtmäßig sein. Wir finden auch in Seligenstadt zahlreiche Beispiele dafür. Als Bürgermeisterin war ich mit dem Magistrat und der Verwaltung aufgefordert dafür Sorge zu tragen, dass die Entscheidungen der Stadtverordneten der Rechtsordnung entsprechen. Das führte zwangsläufig zu Widersprüchen gegen manchen rechtswidrigen Stadtverordnetenbeschluss und zum Einholen von Fachgutachten, weil man den Rechtsansichten der Verwaltung nicht folgen wollte. Den Widersprüchen wurde fast immer entsprochen, die Gutachten haben die Rechtslage geklärt. Also: Rechtfindung statt Rechthaberei!
Die Demokratie schläft mit ihren Feinden - nicht aus Lust, sondern aus Prinzip. Was sagen Sie zu dieser betrüblichen Erkenntnis des dänischen Zeichners und Mohammed-Karikaturisten Kurt Westergaard?
Die Demokratie, das sind wir. Wir entscheiden, welche Qualität unsere Demokratie hat. Wir sind für ihre Qualität verantwortlich und wir sind verantwortlich dafür, welchen Politikern wir unsere Stimme geben. Ja, es ist betrüblich, dass immer mehr Demokraten ihre Gestaltungsfreiheit nicht nutzen und der Demokratie damit schaden. Wut - nach eigenen Angaben das Hauptmotiv von Westergaard - ist allerdings kein guter Ratgeber. Wut allein genügt nicht. Sie ist keine Basis für die Suche nach gemeinsamen Lösungen. Vielleicht aber Antrieb zum Handeln.
Würden Sie das Bürgermeisteramt noch einmal anstreben/übernehmen, wenn Sie mit dem heutigen Kenntnisstand vor die Wahl gestellt wären?
Ja, selbstverständlich. Von den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt zur Bürgermeisterin gewählt zu werden, das ist direkte Demokratie. Und es ist eine Ehre, ein ganz besonderer Vertrauensbeweis. Ich habe mit großer Dankbarkeit die Wahl angenommen und mit viel Freude, unserer Stadt und der Bürgerschaft verpflichtet, das Amt ausgeübt.
Nach politischen Feinden wollen wir nicht fragen, aber haben Sie in Ihrer Amtszeit auch so richtig gute Freunde gewonnen?
Es gehört zu den schönsten Erfahrungen meiner zwölfjährigen Amtszeit, dass ich richtig gute Freunde gewonnen habe. Mut und Vertrauen auf beiden Seiten waren meist der Anfang.
Sie haben drei Wünsche frei!
Ich habe mich immer geziert, wenn Sie mir während meiner Amtszeit diese Frage stellten. Aber jetzt, aus der aufkommenden „Leichtigkeit des Seins“, aus dem Ruhestand heraus:
Ich wünsche meinem Nachfolger - zum Wohl unserer Stadt - eine glückliche und ruhige Hand.
Ich wünsche mir - zum Wohl unserer Stadt -, dass die Bürgerschaft von ihrem Wahlrecht Gebrauch macht und einem parteiübergreifenden und überparteilichen Weg die politische Mehrheit in Stadtverordnetenversammlung und Magistrat verschafft.
Ich wünsche mir - zum Wohl unserer Stadt - eine intensive, konstruktiv-kritische lokalpolitische Presse. Sie ist für eine lebendige Demokratie unerlässlich.
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