Freitag, 19. Februar 2016

Ein Artikel der Offenbach Post vom 18. Februar 2016
"Machthungrige Akteure"
Der Blick zurück eines kritischen Geistes:
Dagmar B. Nonn-Adams im Interview

Seligenstadt - Ihre Amtszeit als Bürgermeisterin Seligenstadts ist vorbei. Der Blick auf die Stadt und ihre Menschen ist nach wie vor von Sympathie geprägt, der auf Politik und Politiker bleibt der eines kritischen Geistes.

Im Gespräch mit Redakteur Michael Hofmann zieht Dagmar B. Nonn-Adams ihre Bilanz der vergangenen zwölf Jahre.

Seit wenigen Wochen sind Sie eine Privatperson. Spüren Sie schon eine herannahende „Leichtigkeit des Seins“, so ganz ohne Terminplan und Verpflichtungen? Gibt es einen Plan B, falls das „unerträglich“ werden sollte?
Die „Leichtigkeit des Seins“ ist ein verlockendes Ziel und in meinen Augen ganz bestimmt nicht „unerträglich“. Aber wann ist man schon ohne Verpflichtungen? Trotzdem: ein ganz anderer Terminplan, weniger Fremdbestimmtheit, mehr Zeit für Privates. Das ist durchaus mehr Freiheit und Freiraum für neue Perspektiven, neue Ziele, neue Ideen.

Als Quereinsteigerin haben sie im Bürgermeisterrang erfahren und erlebt, wie kommunale Politik funktioniert. Enttäuscht?
Ich bin nicht enttäuscht, aber es ist schon oft enttäuschend, wie sich kommunale Politik darstellt. Bei von Parteien gebildeten Machtstrukturen und zu vielen machthungrigen Akteuren bleibt zu oft das Wohl der Bürgerschaft in ihrer Gesamtheit auf der Strecke. Ich bleibe dabei: In der Kommunalpolitik geht es meist um Fragestellungen und Verwaltungsakte, die nur sehr bedingt etwas mit Parteiprogrammen zu tun haben. Der gesunde Menschenverstand und Stadtverordnete, die ihrer Stadt und ihren Bürgern verpflichtet sind und diese Verpflichtung leben, sind bessere Ratgeber als Parteipolitik.

Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie als Vertreterin der Mitte, des Bürgertums, mit genau der Partei in Dauerfehde gerieten, die all diese Werte verkörpert, der CDU?
Sind Sie sicher, dass die CDU ein Monopol auf die Verkörperung bürgerlicher Werte hat? Für Seligenstadt gilt aus meiner Sicht: Wir müssen unterscheiden zwischen „der Partei“ und einigen wenigen „Parteipolitikern“. In den letzten Jahrzehnten glaubten einige wenige, die es in Schlüsselpositionen ihrer Partei schafften, sie seien die Partei. Ein grober Denkfehler. Sie haben die Partei für ihre Eigendarstellung und ihre Fehden, mit denen sie Macht entfalten wollten, missbraucht. Zweimal wurde ich deshalb auch mit vielen Stimmen traditioneller CDU-Wähler zur Bürgermeisterin gewählt, weil sie in mir die Repräsentantin ihrer Werte sahen.

In Ihrer Amtszeit ist die Zahl der (meist von Ihnen veranlassten) Rechts- und Fachgutachen sprunghaft angestiegen. Weil Sie ebenso misstrauisch wie renitent und rechthaberisch sind oder weil sich parteipolitisch motivierte Beschlüsse häuften, die weder rechtens, noch im Sinne der Stadt und Ihrer Bürger sind?
Mehrheitsentscheidungen geben zwar Machtverhältnisse wieder, müssen aber deshalb noch lange nicht richtig und rechtmäßig sein. Wir finden auch in Seligenstadt zahlreiche Beispiele dafür. Als Bürgermeisterin war ich mit dem Magistrat und der Verwaltung aufgefordert dafür Sorge zu tragen, dass die Entscheidungen der Stadtverordneten der Rechtsordnung entsprechen. Das führte zwangsläufig zu Widersprüchen gegen manchen rechtswidrigen Stadtverordnetenbeschluss und zum Einholen von Fachgutachten, weil man den Rechtsansichten der Verwaltung nicht folgen wollte. Den Widersprüchen wurde fast immer entsprochen, die Gutachten haben die Rechtslage geklärt. Also: Rechtfindung statt Rechthaberei!

Die Demokratie schläft mit ihren Feinden - nicht aus Lust, sondern aus Prinzip. Was sagen Sie zu dieser betrüblichen Erkenntnis des dänischen Zeichners und Mohammed-Karikaturisten Kurt Westergaard?
Die Demokratie, das sind wir. Wir entscheiden, welche Qualität unsere Demokratie hat. Wir sind für ihre Qualität verantwortlich und wir sind verantwortlich dafür, welchen Politikern wir unsere Stimme geben. Ja, es ist betrüblich, dass immer mehr Demokraten ihre Gestaltungsfreiheit nicht nutzen und der Demokratie damit schaden. Wut - nach eigenen Angaben das Hauptmotiv von Westergaard - ist allerdings kein guter Ratgeber. Wut allein genügt nicht. Sie ist keine Basis für die Suche nach gemeinsamen Lösungen. Vielleicht aber Antrieb zum Handeln.

Würden Sie das Bürgermeisteramt noch einmal anstreben/übernehmen, wenn Sie mit dem heutigen Kenntnisstand vor die Wahl gestellt wären?
Ja, selbstverständlich. Von den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt zur Bürgermeisterin gewählt zu werden, das ist direkte Demokratie. Und es ist eine Ehre, ein ganz besonderer Vertrauensbeweis. Ich habe mit großer Dankbarkeit die Wahl angenommen und mit viel Freude, unserer Stadt und der Bürgerschaft verpflichtet, das Amt ausgeübt.

Nach politischen Feinden wollen wir nicht fragen, aber haben Sie in Ihrer Amtszeit auch so richtig gute Freunde gewonnen?
Es gehört zu den schönsten Erfahrungen meiner zwölfjährigen Amtszeit, dass ich richtig gute Freunde gewonnen habe. Mut und Vertrauen auf beiden Seiten waren meist der Anfang.

Sie haben drei Wünsche frei!
Ich habe mich immer geziert, wenn Sie mir während meiner Amtszeit diese Frage stellten. Aber jetzt, aus der aufkommenden „Leichtigkeit des Seins“, aus dem Ruhestand heraus:
   
Ich wünsche meinem Nachfolger - zum Wohl unserer Stadt - eine glückliche und ruhige Hand.
 
Ich wünsche mir - zum Wohl unserer Stadt -, dass die Bürgerschaft von ihrem Wahlrecht Gebrauch macht und einem parteiübergreifenden und überparteilichen Weg die politische Mehrheit in Stadtverordnetenversammlung und Magistrat verschafft.
 
Ich wünsche mir - zum Wohl unserer Stadt - eine intensive, konstruktiv-kritische lokalpolitische Presse. Sie ist für eine lebendige Demokratie unerlässlich.

Insel der Seligen

Dass wir in Seligenstadt nicht auf einer „Insel der Seligen“ wohnen war voraus zusehen. Dass es zu Neid und Hassausbrüchen gegen die Flüchtlinge auch hier kommen würde, musste jedem klar sein. Die wenigen in einem OP-Kommentar von Michael Hofmann wiedergegebenen Hasstiraden jedoch sind erschreckend.
 

Wehret den Anfängen! Ehe es zu spät ist.

Wir selbst müssen wollen. Dann werden wir gemeinsam mit diesen Ewiggestrigen fertig. Dass es auch in Seligenstadt Neonazis gibt, musste jeder wissen, der das Ohr am Puls der Bevölkerung hat. Wir sollten selbst gegen diese Hassprediger vorgehen – jeder an seinem Platz. Denn wer schweigt, macht sich mitschuldig! Aufgerufen sind alle Bürgerinnen und Bürger, denen Mitgefühl, Mitleid und Menschlichkeit noch nicht abhanden gekommen sind.
 

Und Hirn einschalten!

Als äußeres Zeichen sollten sie der Bürgerinitiative beitreten. Zuerst Diejenigen, deren Eltern und Großeltern nach ihrer Flucht aus Osteuropa oder aus der Sowjetzone nach 1945 hier eine neue Heimat gefunden haben. Aber auch unsere Mitbürger, die als Gastarbeiter kamen und voll integriert sind. Der Heimatbund und alle Vereine sollten unterstützende Mitglieder werden.

Und unsere Geistlichen? Steht auf! Nicht nur predigen, sondern mithandeln. Denn gemeinsam sind wir stark! Wer erinnert sich noch der Lichter – Demonstrationen auf unserem Marktplatz vor Jahren? 

Vielleicht sollten wir diese Anregung aufgreifen, ehe es dunkel wird in dieser unserer Republik. 

PS. Ich werde wegen diesem Pack nicht wegziehen.

Karl Heinz Demmrich
Seligenstadt
"Aus dem Archiv geholt"
Ein Kommentar zur Seligenstädter Kommunalpolitik,
von Karl-Heinz Demmrich, vom 14. Mai 2013

Lehrstück in Kommunalpolitik
Für alle diejenigen, die die Feinheiten in der Kommunalpolitik noch nicht durchschauen – hier eine kurze Einführung. Unter besonderer Berücksichtigung der Seligenstädter Verhältnisse.

Also: Wie kippt man eine Bürgermeisterin vorzeitig aus dem Amt?

Man stelle eine Menge Anträge, möglichst in jeder Stadtverordnetensitzung mehrere, und dringe auf baldige Berichterstattung. Fazit: Die Verwaltung wird überfordert. Die Berichte lassen auch wegen Personalmangels auf sich warten. Besonders publikumswirksam eignet sich hier eine späte Vorlage des Haushaltsplans. Man sollte aber nicht darauf hinweisen, dass auch in früheren Legislaturperioden dies vorkam. Möglichst viele Anträge sollten mit Gutachten untermauert werden. Das dauert natürlich seine Zeit, entlastet die Antragsteller, enthebt sie eigener Verantwortung, kostet zwar viel Geld, erhält aber den eigenen Gehirnschmalz, soweit vorhanden. Man vergesse nicht, in möglichst jeder der kommenden Sitzungen an diese Anträge zu erinnern und nach dem Stand zu fragen. Tunlichst nicht vergessen, sich aus dem Rathaus von Parteigängern zusätzliche Informationen besorgen. Zu empfehlen wäre auch das Einschalten der Kommunalaufsicht. Die ist weit weg und orientiert sich oft lediglich am Kalender.

In den Medien möglichst mehrmals die Woche darauf hinweisen, dass auf die Antworten zu lange, noch besser viel zu lange wartet, ohne allerdings die Gründe dafür zu nennen oder gar zu akzeptieren. Hier empfiehlt es sich, gleich mehrere Mandatsträger zu Wort kommen zu lassen. Noch besser, eine zweite oder gar dritte Fraktion mit einschalten. Das gelingt umso eher, wenn bereits lange vor Wahlen Zusagen über lukrative Posten versprochen werden. Also zum Beispiel: Wenn wir den Bürgermeister oder die Bürgermeisterin stellen, erhaltet ihr den 1. Stadtrat oder die 1. Stadträtin! Je eher wir also zum Ziel gelangen, umso eher fließt Geld und Versorgung für einen oder eine von euch!

Und zum Schluss nicht daran denken, dass man das Fell des Bären schon verteilt, ehe man ihn erlegt hat. Denn einen Bürgermeister oder eine Bürgermeisterin werden von den Bürgern direkt gewählt. Und die haben den Kandidaten der größten Fraktion bereits dreimal eine Absage erteilt. Bitte nicht daran denken, es könnte auch ein viertes Mal passieren!

Fortsetzungen sind in Planung!
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„Aus dem Archiv geholt“
Diese Artikelreihe wird in lockerer Reihenfolge weiterhin präsentiert, im Kampf gegen das vergessen.

Der Blick zurück ist immer wieder interessant, speziell für unsere Neubürger. Anhand solcher Artikel kann die spezielle Seligenstädter Politik wieder in Erinnerung gerufen werden. Die Politiker vergessen so schnell ihre eigenen Worte und Taten. Es ändert sich nichts, der alte Trott geht immer weiter. Am 6. März 2016 haben es die Bürger in der Hand eine neue Politik in Seligenstadt und im Kreisparlament zu wagen.

Hans-Jürgen Heyne